Seit mehr als 20 Jahren betreiben wir nun unseren Indian Corner Rio Grande. Anlass genug an die Anfangstage zurückzudenken. Die erste Reise zum Schmuckeinkauf nach Arizona und New Mexico war eine spannende Angelegenheit. Natürlich hatten wir uns informiert über indianisches Juwelierhandwerk, über die Hopi, Navajo und Zuni Indianer, aber es fehlten uns die lebendigen Bilder. Wir waren nie zuvor, wie man im Ruhrpott sagt, „vor Ort“.
Für Einkäufer von original indianischem Türkis- und Silberschmuck, das war bekannt, galt die kleine, knapp 20 000 Einwohner zählende Stadt Gallup in New Mexico als erste Adresse. Diese Westernstadt erschien uns als eine chaotisch anmutende Ansammlung von meist ein- oder zweigeschossigen Flachdachbauten, die besserwisserisch von zahllosen riesigen Leuchtreklameschilder überwuchert wurden.
Der Ort hatte sich entlang der alten Route 66 und der traditionsreichen „Atlantik-Pazifik Railrout“ entwickelt auf der sich täglich riesige Waggonschlangen, geschoben und gezogen von monströsen Diesellokomotiven unter Getöse mitten durch die Stadt quälten. Meist waren sie beladen mit Kohle aus den Kohlerevieren in den Navajo- und Hopi Reservaten der Nachbarschaft. Zwar ist das heutige Gallup ursprünglich Siedlungsland der Navajo und Hopi gewesen, aber einen authentisch indianischen Charakter hat diese Häuseransammlung mit Universität an keiner Stelle. Einzig unser Hotel, das „El Rancho“, ein bewohnbares Museum oder das Gallup Court House erinnern an die Wildwest Geschichte oder an indianische Traditionen Gallups. Dass wir uns dennoch in einer Silberschmuck City befanden, war nach einer ersten Erkundung schnell klar. Handelsposten und Arts & Crafts Galerien boten eine beeindruckende Auswahl an indianischem Juwelier- und Kunsthandwerk an. Aber wo waren die Produzenten all dieser wirklich überwältigend schönen Handarbeiten?
Unsere erste Begegnung mit Native Indians war dann von unerwartet besonderer Art und fand in einem Mexican Food Restaurant mit dem verlockenden Namen Grandmas Burritos statt. Während wir lustlos an unserem Root Beer nippten (wir hatten uns ein echtes Bier erhofft und stattdessen ein nach Magenbitter schmeckendes Süßgetränk erhalten) erstürmte eine vielköpfige, offenbar indianische Familie die Plätze neben uns. Alle waren von einer Leibesfülle, die auch gut für die doppelte Anzahl stattlicher Personen gereicht hätte. Temperamentvoll und lebhaft wären euphemistische Umschreibungen dieses Auftritts gewesen. Binnen kürzester Zeit hatten sie Tisch und Umgebung in ein Schlachtfeld verwandelt. Gegner waren Coca Cola Literbecher und riesige Mengen an Plastikverpackungen. Was sich auf dem Tisch nicht halten konnte fiel darunter, Cola, Pommes, Empanadareste und Soßen eingeschlossen. So unvermittelt der Auftritt begonnen hatte so war er auch beendet. Servicepersonal, offenkundig auf derartige Erscheinungen vorbereitet, rückte mit großen Schiebebesen und Müllsäcken an.
Wir hatten uns, offen gesagt, unsere erste Begegnung mit den Nachfahren von Barboncito, Herero Grande oder Manuelito (berühmte Navajo Häuptlinge) anders vorgestellt.
„Was haben Sie erwartet?“, sprach uns eine Stimme in unserem Rücken an. Der Mann vielleicht Mitte 50, groß und mit für unsere Augen asiatisch scheinenden Gesichtszügen hatte unser getuschelten Kommentare mitbekommen und offensichtlich verstanden. „Sie haben soeben den amerikanisch geprägten Teil der neuen Navajo-Kultur mitbekommen“. Und im breitesten Südstaatenslang „I‘m Yess, what are you doing in Gallup“? Wir kamen ins Gespräch und erfuhren, dass Yess so gut deutsch sprach, weil er lange Zeit bei der US Armee in der Nähe von Heidelberg stationiert war. Er freute sich seine Sprachkenntnis unter Beweis stellen zu können, was von uns ausgiebig und aufrichtig bewundert wurde. Erst recht waren wir begeistert als wir erfuhren, dass Yess ein „Original Native Indian Silversmith“ war. Er arbeite wie viele andere in einer von weißen Amerikanern betrieben Werkstatt gegen Lohn. Fertige aber auch Stücke in seiner eigenen kleinen Werkstatt an. Von Navajo betriebene Silberschmiedewerkstätten würden wir in Gallup nicht finden. Überhaupt gäbe es nicht viele von Natives betriebene Werkstätten und Ateliers. Das seien die großen Namen der Branche, die über das nötige Kapital verfügten. Die Mehrzahl der Männer und Frauen, die Ihren Lebensunterhalt mit der Herstellung von Silberschmuck verdienten, arbeiteten gegen Lohn bei „weißen“ Unternehmen oder stellten in kleinsten Werkstätten oder Heimarbeit Auftragsarbeiten her. Und wenn das Geld einmal für eine Extraportion Silber oder Türkise reiche, die er in den großen Supply Märkten am Ort einkaufe, stelle er auch schon mal besondere Einzelstücke her. Dann wisse er aber nicht ob und wann er sie verkaufen könne. Die vielen Zwischenhändler, die er als „Cutthroats“ bezeichnete, würde er meiden und wir sollten das auch.
Es bedurfte einiger Überredungskunst bis Yess sich bereit erklärte uns seine Werkstatt zu zeigen. Wir hatten einige Tage Zeit, die wir zu Besuchen im Hopi Reservat und in der Navajo Metropole Window Rock nutzten. Im nahen Red Rock Park unternahmen wir eine Wanderung durch eine abenteuerlich schöne Gebirgslandschaft, die nur jedem Gallup Besucher empfehlen können und schauten uns eine zünftige Rodeo Arena an.
Yess‘ Heim lag einige Meilen außerhalb von Gallup bei Yah-Ta-Hey, einem trostlosen Flecken inmitten einer kargen steppenähnlichen Landschaft. Sein „Heim“, das war ein an einer staubigen Schotterpiste gelegenes, von Steinhaufen eingerahmtes Areal in dessen Mitte ein stattlich großes Wohnmobil aufgebockt stand. Neben seinem mächtigen Pick-up waren da noch drei weitere Karossen dieses Formates, ganz offenkundig Autowracks. Neben dem hölzernen Torbogen, der an aus Westernfilmen bekannte Ranchportale erinnerte türmten sich Haufen alter Autoreifen. Ein paar Pflanzen, die möglicherweise einmal Blumen waren, durchlebten ein schon länger dauerndes Trockenstadium. Auch der äußere Zustand des Wohnmobils hätte auch den ärmsten Schlucker nicht ermuntert hier nach Wertvollem zu suchen. Wer hier wohnte legte ganz offenkundig nicht den geringsten Wert auf Äußerlichkeiten.
Das Ankommen, Anmelden, Anklopfen und schließliche Eintreten nach Navajo Art hatten wir uns, wie es sich für aufmerksame Touristen gehört, eingeprägt. Nach Beendigung des Rituals gelangten wir in eine nun völlig unerwartete neue, aufgeräumte und ruhige Welt. Die spartanische Einrichtung, Sitzmöbel, großer Fernseher und noch größerer Kühlschrank dominierten. Beeindruckend waren die vielen Bilder, Navajo Teppiche und die kleinen Glasvitrinen, die Yess, wie er zugab, extra für uns mit einigen seiner wunderbaren Schmuckstücke aufgebaut hatte.
Im hinteren Teil des Wagens befand sich sein Arbeitsplatz. Eine Art Werkbank mit einem Sägebock und einem Auffangleder für Silberabfälle darunter, eine Schleif- und eine Poliermaschine, Regale mit Punzier- und Treibmeißeln, Pfeilen und Aalen, Zangen und Sägen, Schachteln mit Rohsteinen, geschliffenen Türkisen und anderen Schmucksteinen. Hingerissen waren wir von der ästhetischen Schönheit der wenigen fertigen Schmuckstücke und der handwerklichen Kunstfertigkeit und Präzision mit der sie hergestellt waren. Drei Große Türkise, sorgfältig zurechtgeschnitten, damit die Matrix des Steines optimal zur Geltung kam, dominierten einen Armreif mit einer schlichten dreigliedrigen Armspange, die Yess im „Old Style“ für einen Kunden angefertigt hatte.
Wir waren sichtlich tief beeindruckt von der inneren Ruhe dieses Mannes und seinen künstlerischen Werken inmitten dieser äußeren Umgebung, die uns so trostlos erschienen war. Darauf angesprochen meinte er, seine Seele könnten wir in seinem Schmuck finden, nicht in seinem Vorgarten. Und er betonte dieses deutsche Wort so als hätte er hinzugefügt – wie dies bei Euch in Deutschland so ist. Natürlich haben wir ihm Schmuck abgekauft, den er frei verfügbar hatte und sind nach ausgiebiger Verabschiedung um eine Erfahrung reicher zurück in unser El Rancho gefahren.
Wir haben Yess bei späteren Besuchen in Gallup nie wieder angetroffen und es wollte oder konnte uns niemand sagen wo er abgeblieben war. Ein Foto von sich und seinem Heim hatte er sich verbeten und seinen Namen haben wir uns nur nach der Aussprache gemerkt. Möglicherweise liest er ja diesen Reisebericht und meldet sich bei uns. „Hi. Yess here.“
Eine kurze Episode geschrieben von Horst Driesen, die die Realität in Gallup New Mexico wiederspiegelt, wahre Geschehnisse erzählt und teils zum Schutz von Personen verändert wurde.
1 Kommentar
Lieber Herr Driesen,
gerade habe ich mit großem Interesse Ihren Bericht von Ihrer vor Jahren vorgenomenen ersten Reise nach Arizona und New Mexico gelesen und bin sehr beeindruckt: Vor allem von Ihrer sehr lebendigen, sprachlich eindrucksvollen und detaillierten Schilderung , die
sehr gut nachempfinden lässt, wie durchaus achtsam Sie sich dieser gesamten Situation vor Ort nähern mussten als „Fremder“, der
von außen hinzukommend, eher wenig Vorstellung mittbringen kann zu den genauen Gegebenheiten, die Sie dann erlebt haben.
Man kann sich bildhaft vorstellen, wie irritiert Sie angesichts des Verhaltens der indianischen Großfamilie waren und spürt unmittelbar
die Auswirkungen , die die Zerstörung einer ganzen Kultur für ihre einzelnen Mitglieder bedeutet, wenn man Ihre Eindrücken von
Yess‘ Lebenssituation auf sich wirken lässt,- es ist , alles in allem, ein sehr bedrückender Gesamteindruck, denn am Beispiel
von Yess lässt sich ja deutlich erkennen, dass kulturelle Werte und Fähigkeiten, aber auch die Seele eines ganzen Volkes
durch die amerikanische Zerstörung der indianischen Kultur keinen Platz mehr finden, an dem sie wirklich noch gelebt werden können und vor allem wertgeschätzt werden.
Selbst der indianische Schmuck wird, wie Sie schildern, nicht in autonomen Werkstatten in Eigenregie in der Regel hergestellt, sondern
in lohnabhängigen Arbeitsverhältnissen, die , so muss man wohl vermuten, dem eigentlichen, auch über das materielle hinausgehenden
Wert in keiner Weise gerecht werden. Und dabei macht ja genau das auch den besonderen Wert und die spezifische Anmutung der
Schmuckstücke aus: Dass sie beseelte Werke sind, die nicht nur eine ästhetische Ausstrahlung haben, sondern auch ein Energiefeld,
in dem ihre Geschichte, die Bedeutungen aller verwendeter Symbole und nicht zuletzt die Kraft der verwendeten Steine mitschwingt
und bei den meisten Trägern ja auch die besondere Affinität zu diesen Schmuckstücken erzeugt.
Man fragt sich nach dem Lesen Ihres Artikels schon, ob man das vergessen kann, wenn man authentischen indianischen Schmuck
kauft und trägt, dass man wahrscheinlich ein fragwürdiges System von Ausbeutung in Arizona und New Mexico vor Ort mitträgt,
indem man das alte Wissen und die Weisheit dieser Menschen, die sich ja auch in den angefertigten Schmuckstücken ausdrückt,
auf gut verkäufliche Waren reduziert und dabei jegliche Wertschätzung derer, die sie anfertigen, unterbleibt.
Oder ist es vielleicht gerade richtig, durch Erwerb und Tragen der Schmucksstücke mit Achtung und Respekt noch einen leisen
Klang einer wertvollen und zutiefst achtenswerten, weisen Kultur aufrecht zu erhalten und so dazu beizutragen, dass er nicht
ganz verstummt?
Ich hoffe, dass dies nicht zu idealistisch angedacht ist und erfreue mich nach wie vor jeden Tag an dem Türkis-Solitärring, den
ich vor einiger Zeit bei Ihnen gekauft habe und täglich trage,- ohne ihn fehlt deutlich etwas und sein Energiefeld ist, zumindest
für mich, immer sehr klar spürbar,-
einen herzlichen Gruß sendet Ihnen –
Ihre Kundin Heike Zapfe.